Punk, New Wave, Skinhead und Fanzines

Illustration by Tine Fetz

Als sich Punk gegen Ende der 1970er Jahre von England aus verbreitet, entsteht auch in Berlin eine Punkszene – zuerst im Westen, wo sich ab 1977 mit PVC und den Ffurs zwei der ersten deutschen Punkbands formieren, und kurz darauf auch im Osten der Stadt. Deutsche Punkbands orientieren sich zuerst an britischen Vorbildern wie den Sex Pistols oder The Clash. Punk – als neue Form der Popmusik, über die etwa die BRAVO berichtet – ist in dieser ersten Phase auch im Mainstream erfolgreich. Bald differenziert sich Punk aber in verschiedene Strömungen aus. Als populäre Spielart etabliert sich in Deutschland vor allem der sogenannte Fun-Punk, dessen erfolgreichste Vertreter die 1982 in Berlin gegründete Band Die Ärzte sind. Punk als subkulturelle Strömung wird in Westdeutschland gleichzeitig zur bestimmenden Musik im Kontext autonomer Zentren – in Berlin z. B. im Drugstore oder dem Tommy-Weisbecker-Haus – und in der linken Hausbesetzer*innenszene. Dieser Anarcho-Punk verortet sich als Gegenkultur zum bürgerlichen, konservativen Establishment, wendet sich gegen Rassismus und stereotype Geschlechterrollen und propagiert antikapitalistische und antiautoritäte Ideen. Neben diesem explizit politischen Teil der Punkszene gibt es eine Menge Punks, die den nihilistischen No-Future-Gedanken der Sex Pistols exzessiv auslebt. Destruktives Verhalten und eine allumfassende Verweigerungshaltung sind kulturelle Ausdrucksformen dieser Variante, zu der auch obdachlose Straßenpunks gezählt werden können. Eine weitere Ausprägung von Punk ist der sich häufig als unpolitisch verstehende und tendenziell eher konservative Oi!-Punk. Er hat seine Wurzeln stärker als andere Spielarten des Punk in der britischen Arbeiterklasse. In den Songtexten geht es häufig um Fußball, Sex und Alkohol, musikalisch ist Oi!-Punk von Ska und Pubrock beeinflusst. Oi! ist außerdem eng mit der Skinhead-Kultur verbunden, die ebenfalls ihren Ursprung in der britischen Arbeiterklasse hat, wo sie schon Ende der 1960er Jahre entsteht, sich aber erst im Kontext von Punk auch in Deutschland verbreitet. Berlin wird in den 1980er Jahren zum Zentrum einer besonders in politischer Hinsicht heterogenen Skinheadszene. Neben eher unpolitischen Skinheads sowie mit der linken Punkszene verbundenen Redskins entwickelt sich auch eine rechtsextreme Skinheadszene, die im Laufe der Zeit einen großen Teil der Subkultur dominiert – und sich immer deutlicher von den Punks abgrenzt.

Parallel zu Punk etabliert sich der Begriff New Wave, der zuerst synonym zu Punk benutzt wird, aber bald ein eigenes Genre bezeichnet. Dieses Genre zeichnet sich u. a. durch den zusätzlichen Einsatz von elektronischen Soundfragmenten aus und ist stilistisch experimentierfreudiger. In Deutschland wird ab 1979 auch die Bezeichnung „Neue Deutsche Welle“ benutzt, zuerst in der Musikzeitschrift Sounds als Sammelbezeichnung für deutschsprachige New-Wave- und Punkbands wie beispielsweise die West-Berliner Bands Einstürzende Neubauten, Die Tödliche Doris und Mania D / Malaria!, bevor NDW aufgrund der großen Erfolge von Nena und anderen vor allem als Mainstream-Pop wahrgenommen wird. West-Berlin entwickelt sich neben Düsseldorf und Hamburg zum wichtigsten Zentrum dieser Strömung und beheimatet eine vielfältige performative Kunst- und Musikszene, die sich in Clubs wie dem SO 36, dem Dschungel oder dem Risiko trifft. 1981 findet im Berliner Tempodrom das Festival Genialer Dilletanten statt, bei dem nicht nur Bands und Künstler*innen aus der Berliner New-Wave-Szene das erste Mal zusammen auftreten, sondern auch spätere Techno-DJs wie WestBam oder Dr. Motte als Mitglieder verschiedener Punkbands auf der Bühne stehen. Ein anderes Festival in diesem Kontext ist das Atonal im SO 36, das 1982 das erste Mal stattfindet und vom späteren Gründer des Technoclubs Tresor, Dimitri Hegemann, organisiert wird. Aufgrund seiner Nähe zur bildenden Kunst – z. B. wird das SO 36 Ende der 1970er Jahre eine Zeitlang vom Künstler Martin Kippenberger mitbetrieben – wird dieser Teil der Berliner Szene von den Anarcho-Punks angefeindet und als elitär und kommerziell kritisiert.

Durch Punk verbreitet sich eine Idee, die bis heute in verschiedenen Jugend- und Subkulturen eine wichtige Rolle spielt: Das Konzept des Do It Yourself (DIY), des Selbermachens. DIY ist nicht nur die Grundlage dafür, dass jede*r Musik machen kann, auch ohne das Spielen eines Instruments gelernt zu haben – hierauf spielt beispielsweise der bewusst falsch geschriebene Name „Geniale Dilletanten“ an – sondern auch für die Gründung unabhängiger Labels und szeneeigener Publikationen sowie den Aufbau eigener Strukturen wie Vertriebe und Geschäfte. Zu den ersten unabhängigen Plattenlabels in Deutschland gehören Zick Zack in Hamburg und Ata Tak in Düsseldorf, in Berlin Aggressive Rockproduktionen und Pogar oder auch Kassettenlabels wie Eisengrau und Stechapfel Produktion. Diese Labels sind in der Regel eng mit anderen Institutionen der Szene verbunden – in Berlin z. B. mit Plattenläden wie Zensor, Vinyl Boogie oder Scheissladen.

Die ersten ausführlichen Berichte über Punk und New Wave in Westdeutschland erscheinen in der etablierten Musikzeitschrift Sounds. Bald werden allerdings Fanzines als Alternative zu den Mainstreammedien zum zentralen Kommunikationsmittel der Punkszene. Fanzines – der Begriff setzt sich aus den Wörtern fan und magazine zusammen und stammt aus der Science-Fiction-Fanszene – sind im Sinne des DIY selbstgemachte, unprofessionelle und häufig in nur geringer Auflage und unregelmäßig erscheinende Zeitschriften. Sie werden meist fotokopiert und zirkulieren in der Regel nur innerhalb der jeweiligen Szene, enthalten u. a. Konzertberichte, Plattenrezensionen und Szeneneuigkeiten. 1977 erscheint mit The Ostrich aus Düsseldorf das erste deutsche Punkfanzine, in den darauffolgenden Jahren werden es immer mehr – in der Sammlung des AdJ befinden sich rund 1.400 Titel aus Deutschland mit über 4.000 Einzelheften aus den Bereichen Punk, New Wave und Hardcore. Darunter sind über 100 Titel allein aus Berlin – z. B. T4, Die Berliner Ghettoratte, Bonzen, Reuters, Die Katastrophe oder Assasin. Auch in der Skinhead-Szene gibt es Fanzines, hier finden sich knapp 400 Titel bzw. 1.300 Einzelhefte in der Sammlung, darunter allerdings auch viele von Neonazi-Skins. Die Fanzines spiegeln die Ausdifferenzierung der verschiedenen Szenen wider, sei es in die diversen Subszenen von Punk und New Wave oder, besonders deutlich im Falle der Skinhead-Fanzines, in politisch sehr unterschiedliche Richtungen. Auch in anderen Szenen, wie dem aus Punk entstandenen Hardcore oder dem Indie-Rock, sind Fanzines ein wichtiges Kommunikationsmittel. Sie werden auch heute noch genutzt, allerdings aufgrund der modernen Kommunikationstechnologien deutlich seltener als in den 1980er und 1990er Jahren.

In Ost-Berlin und dem Rest der DDR gibt es in den 1980er Jahren weniger Möglichkeiten, unabhängige Strukturen aufzubauen. Trotzdem entstehen sie, in Nischen wie der Kunstszene, in Privatwohnungen oder im Kontext der Kirche – so finden im Osten der Stadt Punkkonzerte in der Erlöserkirche und der Zionskirche statt. Treffpunkte sind außerdem Proberäume wie beispielsweise der Raum der Ost-Berliner Punkband Feeling B, aus deren Umfeld später die Band Rammstein hervorgeht. Die Staatsmacht der DDR verfolgt Punks und Skinheads. Um 1984 kommt es zu einer Kriminalisierungs- und Verhaftungswelle, Songtexte werden als Beweismittel beschlagnahmt und Musiker*innen und andere Szeneangehörige werden bestraft, manche sogar zu Gefängnisstrafen verurteilt. Punk bedeutet in der DDR etwas anderes als in Westdeutschland, die Texte drehen sich stärker um die Suche nach Freiräumen und um Selbstbehauptung, außerdem sind mehr Frauen als in Westdeutschland in Punkbands aktiv. Die Szenelandschaft differenziert sich aber ganz ähnlich aus wie im Westen und auch in der DDR gibt es Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Szenen, beispielsweise überfallen 1987 rechte Ost-Berliner Skins das Konzert der West-Berliner Band Element of Crime in der Zionskirche.

In der DDR werden fast keine Fanzines publiziert, u. a. fehlt es an technischen Möglichkeiten, die Hefte zu kopieren. Außerdem macht es die Überwachung durch die Staatssicherheit äußerst riskant, ungenehmigte Untergrundzeitschiften zu veröffentlichen. Die wenigen Publikationen dieser Art, die entstehen, werden meist mit aus der BRD eingeschmuggelten Matrizendruckern vervielfältigt, denn frei verfügbare Kopierer gibt es keine. Dafür zirkulieren in der Szene Fanzines aus dem Westen, in denen auch Informationen von Punks aus der DDR und Berichte von westdeutschen Punks über die ostdeutsche Punkszene veröffentlicht werden. Das AdJ hat bisher keine Original-Fanzines aus der DDR, nur wenige Nachdrucke wie etwa den aus dem Kontext der Kirche von Unten stammenden und u. a. die Punkszene thematisierenden mOAning star (2005 komplett von der Robert-Havemann-Gesellschaft wiederveröffentlicht). Viele Quellen sind erst nach der Wiedervereinigung zugänglich und die Aufarbeitung der Geschichte von Punk in der DDR in Form von Buchveröffentlichungen und Ausstellungen beginnt. Nach 1989 kann sich die Punkszene in Ostdeutschland frei entfalten und es erscheinen innerhalb kurzer Zeit viele neue Fanzines. Ost- und West-Berliner Punks nutzen die Freiräume im Ostteil der Stadt und es entstehen durch die Besetzung leerstehender Gebäude neue Veranstaltungsorte wie der Schokoladen, der Eimer oder die Køpi. Durch den Wandel der Stadt werden im Laufe der Jahre viele Freiräume wieder beschnitten, manche sozialen und kulturellen Zentren der Punkszene wie das SO 36, die Køpi und der Schokoladen existieren aber bis heute.