Skiffle, Beat, Kraut und Bluesrock

Illustration by Tine Fetz

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird wieder mehr US-amerikanische Musik in Deutschland gehört. Jazz und Swing laufen in den Clubs, in den 1950er Jahren folgt der Rock’n’Roll, der zusammen mit amerikanischen Filmen den Beginn der Verbreitung moderner amerikanischer Popkultur in Deutschland markiert. Eine wichtige Quelle hierfür ist die 1956 gegründete Zeitschrift BRAVO, von der im AdJ ein Großteil aller bis heute erschienen Ausgaben gesammelt ist. Der Rock’n’Roll bildet die Grundlage für die erste neue jugendliche Subkultur im Nachkriegsdeutschland: die Halbstarken. Es gibt sie in Ost- wie Westdeutschland, sie sind zumeist männliche Jugendliche aus der Arbeiterklasse. Da die innerdeutsche Grenze noch offen ist, können sich die Jugendlichen in Berlin problemlos untereinander austauschen. So rebellieren die Halbstarken in Ost und West gegen ihre Elterngeneration und die deutsche Nachkriegsgesellschaft, haben aber keine explizit politischen Anliegen sondern machen vor allem durch Krawalle von sich reden, beispielsweise während oder nach Konzerten – wie 1958 nach dem Auftritt von Bill Haley im Berliner Sportpalast.

Ende der 1950er Jahre finden sich Jugendliche in Skifflebands zusammen, die Musik in der Tradition US-amerikanischer Folk-, Blues- und Countrybands spielen. Der Stil kommt über Großbritannien nach Deutschland und ist beliebt, da es relativ einfach und kostengünstig ist eine Skiffle-Band zu gründen. Die jungen Musiker*innen benutzen selbst hergestellte und gefundene Musikinstrumente wie Kistenbass und Waschbrett. Bekannte Treffpunkte und Auftrittsorte in West-Berlin sind die Eierschale, die Badewanne und die Dachluke. Es gibt Wettbewerbe, z. B. den um Das Goldene Waschbrett, der vom Berliner Senat ausgerichtet wird. 1961 treten hier 52 Berliner Skifflebands an, es gewinnen die Skiffle Lords.

Mit dem Erfolg der Beatles Anfang der 1960er Jahre wird Beat populär und aus manchen der Skiffle-Bands werden Beat-Formationen – die Skiffle Lords nennen sich in The Lords um und gewinnen 1964 einen bundesweiten Wettbewerb im Hamburger Star Club, bei dem sie zu Deutschlands Beatband Nr. 1 gekürt werden. West-Berliner Beatfans treffen sich zu Tanz und Livemusik etwa im 1959 eröffneten Riverboat oder im Sloopy in Reinickendorf. Auch in Ost-Berlin bilden sich Anfang der 1960er Jahre viele Beatbands. Die offizielle DDR-Politik versucht allerdings zunehmend die Einflüsse westlicher Popmusik zurückzudrängen, da diese „gesellschaftswidriges“ und „negativ-dekadentes“ Verhalten fördern würden, bis dann 1965 Beat verboten wird. Bands brauchen von nun an eine offizielle Spielerlaubnis, um auftreten zu können. Ihre Texte werden kontrolliert und zensiert.

Die Berliner Skiffle- und Beat-Szene ab 1958, vor allem im Westteil der Stadt, bildet einen der Schwerpunkte der Sammlung des 1983 gegründeten Berliner Rock- und Poparchivs (BRPA), welches nach der Auflösung des dazugehörigen Vereins 2011 in den Besitz des AdJ übergegangen ist. Hier finden sich Materialien sowohl zu den bekannten als auch vielen unbekannteren Berliner Bands und zu den für die Szene relevanten Veranstaltungsorten. Insgesamt sind in der Sammlung des BRPA rund 4.000 Tonträger, 750 Plakate und Informationen zu mehr als 2.000 Berliner Bands und Musiker*innen bis zum Jahr 2010, mit Schwerpunkt auf die Zeit bis 1989, enthalten.

Neben Beat verbreiten sich in den 1960er Jahren in Deutschland weitere Musikstile wie der Blues- und Psychedelic Rock, außerdem erfreut sich die Hippiebewegung wachsender Beliebtheit. Zudem kommt es zur Politisierung eines Teils der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. West-Berlin wird zu einem Zentrum der Student*innenbewegung, und alternative Lebensstile gewinnen an Bedeutung. Ab 1967 bildet sich um den Kreuzberger Club Zodiak Free Arts Lab eine weniger politische, aber für die Berliner Popmusikgeschichte bedeutsame, Szene. Im Zodiak Free Arts Lab wird von Psychedelic Rock, Freejazz und musique concrète beeinflusste experimentelle Live-Musik gespielt. Diese bildet die Grundlage für das, was später als die Berliner Schule des deutschen Krautrocks bezeichnet wird. Diese musikalisch experimentelle Szene mit Bands und Projekten wie Agitation Free, Ashra Tempel oder Tangerine Dream stellt einen weiteren Schwerpunkt des BRPA dar.

In den 1970er Jahren gründen sich außerdem in Ost- und West-Berlin viele eher bodenständig musizierende Bluesrockbands, beeinflusst von Bands und Künstler*innen wie den Rolling Stones, Jimi Hendrix, Janis Joplin oder The Doors. In der DDR liberalisiert sich ab 1971 die Kulturpolitik wieder ein wenig und es entstehen Freiräume für an Rockmusik interessierte Jugendliche. Die Behörden versuchen allerdings weiterhin jede Art von Popmusik zu kontrollieren, beispielsweise durch offizielle Ausbildungswege für Musiker*innen. Ost-Berlin wird ein Zentrum der DDR-Bluesrockszene, mit Bands wie Monokel, Freygang oder Jonathan Blues Band. Es entsteht eine eigene, nur in der DDR existierende, jugendkulturelle Subkultur, die Blueser*innenszene. Neben der Rockmusik ist auch hier die Hippiekultur ein wichtiger Einfluss, die Szene ist ansonsten divers und nur teilweise explizit politisch eingestellt. Während in FDJ-Jugendclubs und bei Tanzveranstaltungen etwa im Palast der Republik oder dem Ahornblatt auf der Fischerinsel die von staatlicher Seite anerkannten Bands auftreten, sind kleine Clubs und Kneipen, später auch Kirchen, wichtige Auftrittsorte der oppositionell ausgerichteten Bands – ab 1979 finden Bluesmessen z. B. in der Samariterkirche oder der Erlöserkirche statt. Das BPRA enthält nur vereinzelt Material zur Ost-Berliner Szene, der Schwerpunkt liegt auch beim Bluesrock auf der West-Berliner Szene und Bands wie Interzone oder Bel Ami sowie den musikalisch zum Bluesrock zählenden West-Berliner Politrockbands wie Ton Steine Scherben oder Lokomotive Kreuzberg.

In West-Berlin beginnt der Senat 1979 mit der offiziellen Förderung von Rockmusik – es gibt einen Rockbeauftragten und einen jährlich stattfindenden Senatsrockwettbewerb, der bis 1991 ausgerichtet wird. Ein Großteil der bis 1989 eingereichten Demotapes (ca. 1.500 Stück) und Hintergrundinformationen zu den Wettbewerben befinden sich als Dauerleihgaben der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten im Bestand des BRPA.

Im BRPA sind, bis auf wenige Ausnahmen, keine Zeitschriften enthalten, nur Ausschnitte aus Zeitungen und Magazinen zu den in diesem Archiv gesammelten Bands. Das AdJ besitzt in seinem Bestand an Musikzeitschriften jedoch eine umfangreiche, bis in die 1960er Jahre zurückreichende, Sammlung an Titeln aus der BRD (z. B. Musikexpress, Sounds, Spex) und der DDR (Melodie und Rhythmus). Auch Bestände aus anderen Ländern sind in der Sammlung enthalten, u. a. die britischen Musikzeitungen NME und Melody Maker ab Ende der 1960er Jahre. In den deutschen Magazinen, vereinzelt auch in den Heften aus Großbritannien, finden sich vielfältige Informationen zu den bekannteren Berliner Bands und den Entwicklungen der Berliner Szene.