Techno und Clubkultur

Illustration by Tine Fetz

Als Hochburg subkultureller Szenen hat Berlin schon vor dem Aufstieg von Techno ein blühendes Nachtleben, auch weil es hier keine Sperrstunde gibt. So existiert etwa eine lebendige Club- und Partykultur im Kontext der (Post-)Punk- und New-Wave- Szene sowie der Lesben- und Schwulenszene rund um den Nollendorfplatz, wo sich seit 1978 das Metropol befindet, einer der bekanntesten Clubs West-Berlins. Auch von US-amerikanischen Soldaten besuchte Diskotheken wie Chic oder La Belle, in denen Funk, Disco und R&B gespielt werden, tragen seit Ende der 1970er Jahre zur Etablierung einer modernen Partykultur bei.

In Folge der zunehmenden Verbreitung von Musiktechnologie wie Synthesizern und Rhythmusmaschinen entstehen in den 1980er Jahren verschiedene Spielarten elektronischer Musik wie Elektropop, New Wave, Italo-Disco oder Elektrofunk. House aus Chicago erreicht Europa etwa Mitte der 1980er Jahre, es folgt Ende der 1980er Techno aus Detroit. Der erste Club in West- Berlin, in dem ausschließlich solche Musik läuft, ist das 1988 eröffnete UFO in Kreuzberg. Die Technoszene ist zu diesem Zeitpunkt noch sehr klein. Als im Juli 1989 die erste Loveparade unter dem Motto Friede, Freude, Eierkuchen stattfindet, tanzen nur etwa 150 Menschen auf dem Kurfürstendamm. Initiiert wird die Loveparde von der Künstlerin Danielle de Picciotto und dem DJ Dr. Motte, die die Veranstaltung als politische Demonstration anmelden. Im Ostteil der Stadt gibt es vor dem Mauerfall kaum Möglichkeiten, Partys mit elektronischer Musik zu veranstalten. Trotzdem existiert schon eine kleine Szene, die Techno und House durch Radiosendungen aus West-Berlin wie Monika Dietls SFBeat (SFB 2) kennengelernt hat. Der West-Berliner DJ WestBam wird im Sommer 1989 nach Ost-Berlin eingeladen, um bei einem Event der FDJ in der Werner- Seelenbinder-Halle aufzulegen.]

Der Mauerfall im November 1989 ist für die Technoszene Berlins von großer Bedeutung, da in Folge dessen leerstehende Gebäude im Ostteil der Stadt als Clubräume genutzt werden können. 1991 eröffnet der Tresor im ehemaligen Tresorraum des Wertheim-Kaufhauses in der Nähe des Potsdamer Platzes. Der Tresor ist einer der einflussreichsten Berliner Clubs der 1990er Jahre. Es existiert ein gleichnamiges Plattenlabel, auf dem auch Technoproduzent*innen aus Detroit ihre Musik veröffentlichen. So entsteht eine enge Verbindung zwischen den Technoszenen Berlins und Detroits. Detroiter DJs wie Robert Hood oder Jeff Mills spielen regelmäßig im Tresor und tragen zusammen mit Berliner DJs wie Tanith oder Rok dazu bei, dass sich dort ein harter und minimaler Technosound etabliert. Eine weitere Verbindung zur Detroiter Technoszene gibt es über den 1989 von Mark Ernestus gegründeten und bis heute existierenden Plattenladen Hard Wax, der als einer der ersten Plattenläden in Europa Technoplatten direkt aus den USA importiert.

Weitere bekannte Technoclubs in Ost-Berlin sind der Planet (ab 1991) und dessen Nachfolgerclub E-Werk (1993 – 1997), in denen im Vergleich zum Tresor weniger harter Techno und mehr House und Trance gespielt werden. Um Techno zu hören, kann man in Berlin auch in den Bunker, ins WMF, das Elektro, die Maria am Ostbahnhof oder den KitKatClub gehen, um nur einige der Clubs zu nennen. Ab 1990 gibt es die ersten nicht an einen festen Ort gebundenen Technogroßveranstaltungen, die Raves: zuerst die Tekknozid-Partys und später die Mayday, die ab 1992 auch in anderen deutschen Städten stattfindet und zehntausende von Besucher*innen anzieht. An dieser Art der Party und der Idee, Techno zu einer Massenbewegung zu machen, entzündet sich einer der zentralen Konflikte in der Technoszene der 1990er Jahre: Akteure wie WestBam und Jürgen Laarmann rufen die Raving Society aus und setzen sich dafür ein, mit Techno möglichst viele Menschen zu erreichen. Andere Teile der Szene wehren sich gegen die damit einhergehende kommerzielle Ausrichtung und auf Massenkompatibilität angelegte Musik. Vor allem ist es die Loveparade, die kritisiert wird. Sie wird im Laufe der 1990er Jahre zu einem Massenspektakel mit bis zu 1,5 Millionen Teilnehmer*innen, gleichzeitig wenden sich viele Protagonist*innen der Technoszene von ihr ab. Es bilden sich verschiedene Subszenen mit unterschiedlichen Ausrichtungen aus. Ein Beispiel für eine antikommerziell ausgerichtet Subszene ist die Freetekno-Bewegung. Sie geht auf den aus der britischen Hausbesetzer*innenszene stammenden Spiral Tribe zurück. Viele Mitglieder des Spiral Tribe siedeln 1992 für einige Jahre nach Berlin über, da aufgrund der Kriminalisierung illegaler Raves in Großbritannien ihr dortiges Betätigungsfeld massiv eingeschränkt worden ist, in Berlin solche Partys aber weitestgehend geduldet werden. Die Gruppe wohnt zeitweise in einer Bauwagensiedlung an der East Side Gallery und ist im Club Eimer aktiv, der sich in einem besetzten Haus befindet. Aus ähnlichen subkulturellen Zusammenhängen kommend findet 1997 die Hateparade, ab 1998 die Fuckparade statt, die als Gegenveranstaltung zur Loveparade gedacht ist. Auf dieser Demonstration werden extrem harte Spielarten von Techno gespielt und es wird gegen die Kommerzialisierung von Techno protestiert.

Um die Organisation der Loveparade abzusichern, werden 1996 die Loveparade GmbH und die Planetcom GmbH gegründet. Den Status als Demonstration verliert die Loveparde 2001, wodurch die Kosten steigen, während gleichzeitig die Teilnehmer*innenzahlen sinken. Nachdem 2004 nicht genügend Sponsoren gefunden werden können, fällt die Veranstaltung aus. Erst durch den Einstieg der Fitnesskette McFit 2006 kann sie noch ein letztes Mal in Berlin stattfinden, bevor sie ein Jahr später ins Ruhrgebiet übersiedelt. Nachdem es 2010 in Duisburg zu einem Unglück mit 21 Toten und mehr als 500 Verletzten kommt, wird die Loveparade nicht mehr fortgeführt. Im AdJ lagert der Nachlass des 2011 verstorbenen ehemaligen Geschäftsführers der Planetcom, Ralf Regitz. Darin sind Planungsunterlagen zu allen Loveparades bis 2003, Flyersammlungen, Plakate und Fotos enthalten. Da Regitz auch an den Technoclubs UFO, Planet und E-Werk beteiligt war, findet sich auch Material aus der Anfangszeit der Szene sowie Material zu der Techno-Kunstausstellung Chromapark (1995 bis 1997 im E-Werk) in seinem Nachlass.

Die meisten der nach dem Mauerfall entstandenen Clubs sind zur Jahrtausendwende verschwunden, im Stadtzentrum ist die Zeit der Zwischennutzung vorbei. Als einer der letzten schließt 2005 der Tresor. Allerdings gelingt es eine neue Unterkunft zu finden, 2007 eröffnet der neue Tresor in einem ehemaligen Heizkraftwerk. In dem riesigen Gebäudekomplex ist nicht nur der Tresor untergebracht, sondern es finden auch Ausstellungen, Konzerte und Opernaufführungen statt. Ein anderes ehemaliges Heizkraftwerk beheimatet seit 2004 den Club Berghain, den Nachfolgeclub des Ostguts (1998 – 2003). Der Club wird im Laufe der 2000er Jahre zum bekanntesten Club Berlins. Das Berghain ist u. a. für seine Darkrooms bekannt, außerdem gibt es einen separaten Club für schwule Fetischparties. Gleichzeitig hat es sich als Kultureinrichtung auch abseits der Clubkultur etabliert. Es gibt Zusammenarbeiten mit dem Staatsballett, Künstler*innen stellen ihre Werke aus und es finden Konzerte statt. Ein anderes Beispiel für die Hinwendung von Techno zu anderen kulturellen Bereichen ist das jährlich stattfindende Festival CTM, das 1999 als musikalische Begleitveranstaltung zur transmediale beginnt. Das Festival für experimentelle Musik und Kunst beginnt im Kontext verschiedener Technoclubs, heute finden CTM-Veranstaltungen aber auch in Theatern wie dem HAU, dem Heimathafen Neukölln und der Volksbühne statt. Ausstellungen, Workshops und Podiumsdiskussionen gehören zum festen Programm. Im AdJ sind Materialien zur CTM seit 1999 gesammelt.

Eine Ausnahmeerscheinung unter den Berliner Technoclubs ist das about blank mit seiner engen Verbindung zur linken Szene, die sich u. a. an dort regelmäßig stattfindenden politischen Veranstaltungen und Solipartys zeigt. 2013 und 2015 findet hier das Perspectives Festival statt, organisiert von female:pressure, einem internationalen Netzwerk von DJs, Musikerinnen und Künstlerinnen, das sich für eine größere Sichtbarkeit von Frauen in der Technoszene und anderen Bereichen der elektronischen Musik einsetzt. Die Berliner Clubs, neben den genannten z. B. der Open-Air- Club Bar 25 am Spreeufer (2004 – 2010), die Wilde Renate oder das Watergate prägen weiterhin den Ruf Berlins als Hauptstadt einer weltweiten Technokultur. Die Clublandschaft Berlins stellt mittlerweile einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar und ist ein Touristenmagnet geworden. In den 2000er Jahren wird der Begriff „Easyjetraver“ geprägt, mit dem Clubbesucher*innen gemeint sind, die übers Wochenende mit Billigfliegern in die Stadt kommen, um hier zu feiern.

In der Anfangsphase von Techno Ende der 1980er Jahre ist die zentrale Rolle Berlins innerhalb dieser Kultur noch nicht absehbar. Auch Frankfurt am Main ist ein bedeutendes Zentrum, hier erscheinen ab 1989 die ersten Technozeitschriften: Frontpage und Groove. Die Frontpage entsteht im Umfeld des Frankfurter Technoclubs, einer seit 1986 stattfindenden Partyreihe für elektronische Musik. Mit der Trennung vom Technoclub und dem Umzug nach Berlin 1992 wird die Frontpage bis zum Konkurs 1997 zum wichtigsten Sprachrohr der eher kommerziell ausgerichteten Szene um Low Spirit, Mayday und die Loveparade. Die Groove beginnt als Magazin für Veranstaltungen im Frankfurter Raum, entwickelt sich Anfang der 1990er zu einem Technomusikmagazin und existiert als eines der wenigen Magazine aus der Technoszene auch heute noch. 2001 zieht die Redaktion der Groove ebenfalls nach Berlin. Im AdJ finden sich neben diesen auch alle weiteren bisher in Deutschland erschienen Technozeitschriften, darunter De:bug und Raveline. Alle Technozeitschriften sind zumindest in ihrer Anfangszeit kostenlose Publikationen, die sich über Werbeeinnahmen finanzieren. Subkulturell und antikommerziell orientierte Fanzines gibt es im Vergleich zu anderen Szenen nur sehr wenige, in der Sammlung des Archivs sind nur eine Handvoll Titel wie Virus oder Datacide mit einer geringen Anzahl an Ausgaben zu finden.

Als wichtigstes Kommunikationsmittel der Technoszene etablieren sich Flyer, auf denen Technopartys angekündigt werden und die in großer Anzahl in der Szene zirkulieren. 1994 wird das Flyer-Magazin gegründet, das die Veranstaltungen in Berlin zusammenfasst und im DIN A6-Format erscheint. Im Laufe der Jahre entstehen Ableger in verschiedenen Städten Deutschlands und auch in anderen Ländern. Im AdJ sind zehntausende von Flyern und hunderte Plakate zu Technoclubs und Veranstaltungen ab 1988 gesammelt. Außerdem finden sich rund 2.500 verschiedene Ausgaben des Flyer und ähnlicher Hefte in der Sammlung.

Die Historisierung der Technoszene nimmt vor dem Hintergrund der 25-jährigen Jubiläen von Mauerfall und Wiedervereinigung spürbar zu. Es finden zahlreiche Veranstaltungen statt, Dokumentarfilme werden gedreht, Stadtführungen zur Clubkultur angeboten und Techno in Ausstellungen wie Alltag Einheit (2015) im Deutschen Historischen Museum thematisiert, einer Ausstellung, in der auch Material aus dem Bestand des AdJ gezeigt wird.